Eine Smartwatch ist schon sehr speziell: Teuer, groß und – soweit es mich angeht – nutzlos. Als ich gerade in einem dieser Superbillig-Online-Shops stöberte, stieß ich auf eine Smartwatch, die um 35% im Preis gesenkt wurde, nämlich von unglaublichen 16 € auf unwirkliche 10 €! Inklusive Porto versteht sich. Also bestellte ich, denn ich wollte mit eigenen Augen sehen: Was ist das für eine Smartwatch?
 
Die Produktfotos sahen eigentlich recht vielversprechend aus, weswegen mein rechter Zeigefinger klickte, bevor der vernünftige Teil meines Gehirns die technischen Daten fertig analysiert hatte. Die sich an diese Tat anschließende Frage war: Wird die Uhr wirklich so gut aussehen, wie das die Fotos suggerieren? Und: Würde mich dieses Ding zumindest davon überzeugen können, dass ich mir dann vielleicht eines Tages so eine richtig teure Marken-Smartwatch zulegen möchte?

Nur zwei Wochen späte war das Preiswunder da. Innerhalb der stabilen aber neutralen Schachtel erspähte mein neugieriges Auge ein Objekt, das doch tatsächlich den Fotos von der Website ähnelte. Okay, es war vielleicht nicht ganz so toll verarbeitet und hatte ein typisches Billigheimer-Gehäuse aus Plastik. Irgendwie sind diese Fotos also doch leicht irreführend.

Die Uhr selbst ist mit 47x45 mm annähernd quadratisch. Auf dem 11 mm dicken Plastik-Ding prangten drei Android-typische Icons. Rechts war ein Taster und links eine microUSB-Buchse mit Gummistopfen, ein Loch und einer schlitzartigen Öffnung. Der Boden der Uhr bestand aus einer blauen Metallplatte mit einem kleinen Loch drin. Das mit 3x23 mm eher dicke und breite Armband ist aus dem gleichen elastischen Silikon-Kunststoff wie diese Küchenformen zum Backen. Alles in allem nicht unkomfortabel zu tragen, aber etwas schwitzig.

Die Uhr ließ sich zuerst nicht einfach einschalten, also wurde sie zunächst mit einem Ladegerät für Smartphones mit Energie versorgt. Nach einigen Sekunden wachte sie auf, und ihr Bildschirm zeigte eine große, grüne Ladeanimation. Nach zwei Stunden Laden setzte ich die weiteren Inspektionen fort.
 
Erstes Einschalten
Nach dem Laden schaltete ich die Smartwatch ein. Es ertönte eine kurze Melodie und auf dem Bildschirm wurde ich mit drei Icons sowie einer Uhrengrafik begrüßt. Ich hatte die technischen Daten ja gar nicht zu Ende gelesen und so bemerkte ich erst jetzt, dass der Bildschirm tatsächlich ein Touchscreen war. Er beherrschte sogar das Sliding! Durch horizontale Wischgesten kann man mehrere Seiten mit Icons durchblättern, welche die Anwendungen repräsentieren. Die Icons selbst sahen eher aus wie krude Gameboy-Icons – vermutlich deshalb, weil der Bildschirm nur 16 Farben anzeigen konnte. Zumindest konnte ich nicht mehr Farben entdecken.




Die Apps der Smartwatch können Dinge Alarme auslösen, wann man etwas trinken oder sich bewegen sollte. Sehr praktisch für Leute, die sowas vergessen. Dann gibt es noch eine Sleep-Quality-App, einen Schrittzähler und Sachen wie Barometer, Höhenmesser, Chronometer, Rechner, Kalender und Ähnliches mehr. Ich war überrascht von der Anzahl an Apps, denn immerhin gab es davon 22 Stück. Mit der App für die „settings“ konnte man die Uhrzeit einstellen und die Art der angezeigten Uhr wählen. Leider war genau die schöne Uhr nicht dabei, die auf den Produktfotos zu sehen war. Man hatte nur die Wahl zwischen einer hässlichen analogen oder digitalen Uhr.

 
Analoge Uhr
Digitale Uhr

Mit der Bluetooth-App kann man die Smartwatch mit einem Smartphone koppeln. Zu meiner Überraschung funktionierte auch das problemlos, und schon konnte ich mit der Uhr telefonieren, Text-Messages lesen, die Musik auf dem Smartphone steuern und sogar Bilder anschauen. Und das alles ohne irgendetwas auf meinem Smartphone installieren zu müssen. Gut, die Tonqualität ist zwar nicht berauschend (manche würden sicher eher sagen: schlecht) und auch die Fotodarstellung ist mau – aber immerhin klappte das!

 
Message von der Android-App.

Android-App
Laut Manual sollte ich die App „Bluetooth Notifications“ auf meinem Smartphone installieren, von der es mehrere Exemplare im Google Play Store mit leicht unterschiedlichen Bezeichnungen gibt. Es gibt auch ein Manual: APK install. Die App selbst war leider ziemlich unzuverlässig und kaum brauchbar. Außerdem traute ich ihr nicht über den Weg, denn plötzlich tauchte allerhand Werbung auf meinem Smartphone auf. Also kam die App sofort in den Daten-Orkus und ich versuchte es stattdessen mit Mediatek-App, die ich im Play Store gesehen hatte. Da die Smartwatch als Mediatek-Watch angepriesen wurde, sollte es vielleicht damit klappen. Und in der Tat: das funktionierte und zwar viel besser als die „offizielle“ Spam-Malware-App.

 
Die Mediatek-App funktioniert besser.

AT-Befehle
Aus einer Laune heraus verband ich die Uhr mit einem PC – und siehe da: Es wurde ein virtueller serieller „MediaTek USB Port“ detektiert. Ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte. Also startete ich ein Terminal-Programm und gab das Kommando „AT“ ein. Sie ahnen es schon: Ungläubig starrte ich auf die Antwort „OK“! Jetzt wurde es spannend, und so probierte ich weitere AT-Befehle aus, die mir gerade in den Sinn kamen. Auf mein „ATD“ antwortete die Uhr mit „NO CARRIER“. Vermutlich ist es also möglich, die Uhr als Interface für ein Smartphone zu verwenden und so Anrufe zu machen, Textnachrichten zu verschicken und es sogar als Modem einzusetzen.
 
Sie schluckt tatsächlich AT-Befehle!

Ergo suchte ich im Internet nach GSM-AT-Befehlen und stieß auf etliche Dokumente. Etliche dieser Befehle wie CGMM und CGMR schienen zu funktionieren. So erfuhr ich, dass es sich um das Modell MTK2 handelt. Die Revision war:
LD88MA_JMX_LCD7735xdhy_HSD_9102TM_CPT_16LANG_V1.3.3, 2016/05/31 16:16

Interessant ist der enthaltene String „LCD7735“. War das die Bezeichnung des verwendeten LCDs? Wenn es nämlich tatsächlich ein 7735-Typ ist, sollte es 18-bit-Farbe anzeigen können. Warum also war die angezeigte Grafik so mies?

Weitere Recherche im Internet nach Mediatek und AT-Befehlen brachten zutage, dass sich schon Leute mit dem Hacking von MTK-Chip-Sätzen in Smartphones und eben dieser Smartwatch befassen.

USB-OTG
Ich konnte auch herausfinden, dass diese Uhr sogar USB OTG unterstützt und glücklicherweise hatte ich so ein OTG-Kabel. Jetzt kommt die unangenehme Überraschung: Beim Anschluss an mein Samsung Galaxy J5, das USB-OTG-fähig ist, wurde die Smartwatch sofort dunkel und schaltete sich nicht mehr ein. Es zeigte sich, dass just hier der Akku leer war. War mein Smartphone der irrigen Annahme, dass es sich hier um ein Ladegerät handelt und hat deshalb die gesamte Restenergie aus dem Smartwatch Akku abgezogen? Keine Ahnung. Auf jeden Fall betrug die Laufzeit der Watch ab da nur noch einige Stunden, wobei sie zuvor mehrere Tage mit einer Akkuladung lief. Hat also OTG meine Smartwatch geschrottet?

Wasserdicht?
Nachdem ich als typischer Elektroniker hinterher dann doch noch die technischen Angaben genau gelesen habe, entdeckte ich, dass diese Smartwatch sogar wasserdicht sein sollte. Da ich schon so ziemlich alles an ihr ausprobiert hatte – und mir klar war, dass ich sie nie tragen würde – entschloss ich mich zur Probe aufs Exempel: Dieses Review schrieb ich in einem Hotel. Also hatte ich Zugriff auf ein Test-Environment namens Swimming Pool. Und?
 
Die Smartwatch übersteht tatsächlich Tiefen von 50 cm.

Ich befestigte die Uhr an einer Hantel, die ich aus dem Fitness-Raum des Hotels entleihen konnte und versenkte sie zunächst in einer Tiefe von einem halben Meter. Und ja: Die Uhr ist wasserdicht!

Fazit
Tatsächlich war ich positiv überrascht von dem, was ich da für 10 € in den Händen hielt. Die Uhr funktioniert prima alleine und auch gekoppelt an mein Smartphone. Sie arbeitet sogar ohne spezielle Software, doch mit der Mediatek-App stehen alle Funktionen zur Verfügung. Ich konnte damit sogar Fotos auslösen und anschauen. Gut, die Bildqualität ist mehr als bescheiden, doch immerhin funktioniert praktisch alles. Die Grafik ist nicht sehr schön, dank der nur 16 (?) genutzten Farben. Doch der Touchscreen funktioniert gut und die Wischgesten arbeiten zuverlässig. Die Software ist etwas schwerfällig und inkonsistent, die Menüs bringen gelegentlich eher gebrochenes Englisch und überzogen langen Time-Outs bei „Done“ nach der Änderung einer Einstellung. Doch immerhin gibt es viele Funktionen und Optionen.

Bliebe das Stil-Problem. Sogar mein 13-jähriger Sohn fand das Teil zu hässlich, um es zu tragen. Man kriegt aber sehr viel Technik fürs Geld. Und doch bleibt die Frage aller Fragen: Braucht man sowas?

Über diese Smartwatch:
U8 Bluetooth Smart Watch w/ Camera Touch Screen for Android OS Smartphone – Black