Europa will sein Internet zurück. Es versucht, die Macht über die digitale Sphäre den Klauen der Big-Tech-Unternehmen zu entreißen. Als Teil ihrer Strategie für die digitale Zukunft der EU strebt die Europäische Kommission (EC) einen digitalen Raum an, der auf europäischen Werten basiert - ein menschenzentriertes Internet, in dem die Grundrechte der Menschen respektiert werden, und einen digitalen Binnenmarkt mit gleichen Wettbewerbsbedingungen. Um dies zu erreichen, arbeitet die EC an neuen Gesetzen zur Regulierung des digitalen Raums. Kernstück der Gesetzgebung ist der Digital Services Act (DSA), der im letzten Dezember vorgeschlagen wurde.
 

EU tame big tech

Neben dem Digital Services Act (DSA), der darauf abzielt, die Bürger und ihre Grundrechte online zu schützen, ist es der Digital Markets Act (DMA), der die beträchtliche Macht der „sehr großen Online-Plattformen" oder „Gatekeeper“ (Informationsregulatoren) eindämmen soll. Das Gesetzespaket führt ein gestaffeltes Verantwortungsschema ein, das auf der Größe eines Unternehmens beruht. Die unterste Stufe betrifft kleine Unternehmen. Sie haben die geringste Verpflichtung, ihre regulatorische Einflussnahme zu begrenzen. Die zweite Stufe ist für größere Plattformen reserviert. Die dritte Stufe zielt auf die sehr großen Online-Plattformen wie Facebook und Google ab, die als Gatekeeper bezeichnet werden, weil sie als wichtige Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunden dienen. Das gibt ihnen die Macht, Regeln aufzustellen, die andere Unternehmen benachteiligen und zu unlauterem Wettbewerb führen können. Aus diesem Grund weist der Vorschlag ihnen die meisten Verantwortlichkeiten zu. Eine Plattform gilt als Gatekeeper, wenn sie mindestens 10% der EU-Bevölkerung bedient.

Der Digital Service Act

Eines der Probleme, die der DSA angehen will, ist die Verbreitung von illegalen Inhalten wie Hassreden, Rachepornos, Online-Stalking und das Anbieten von gefälschten Waren. Durch das vorgeschlagene Gesetz erhalten sowohl die Behörden der Mitgliedsstaaten als auch ihre Bürger mehr Kontrolle, um Anbieter digitaler Dienste über solche illegalen Inhalte zu informieren. Service-Provider müssen benutzerfreundliche Mechanismen einrichten, die es jedem ermöglichen, als illegal erachtete Inhalte zu melden. Der Anbieter muss die Meldung zügig bearbeiten und den Meldenden über seine Entscheidung informieren, wie er mit dem Inhalt umgehen wird. Wenn die Entscheidung durch einen automatisierten Prozess getroffen wird, muss auch dies dem Meldenden mitgeteilt werden. Außerdem müssen sie eine natürliche Person in ihrem Unternehmen benennen, die als Ansprechpartner für die Behörden der Mitgliedsstaaten dient.


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Es ist nicht ohne Risiko, Online-Plattformen zu verpflichten, illegale Inhalte zu entfernen und sie zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie es nicht tun. Es kann einen Anreiz für eine Art Überreaktion schaffen und zu einer übermäßigen Entfernung von Inhalten führen. Organisationen für digitale Rechte haben auf die Gefahr hingewiesen, dass private Unternehmen de facto zu Schiedsrichtern darüber werden, was online geäußert werden darf. Dies verstößt aber gegen die Grundrechte der Meinungsfreiheit und des Rechts auf Information. Um einer solchen Überreaktion entgegenzuwirken, behält der DSA zwei Kernprinzipien bei, die in der E-Commerce-Richtlinie festgelegt sind, dem rechtlichen Rahmen, der das europäische Internet seit dem Jahr 2000 regelt. Diese Kernprinzipien sind die beschränkte Haftung und das Verbot einer allgemeinen Überwachungsverpflichtung. Ersteres besagt, dass Plattformen nicht für nutzergenerierte Inhalte haftbar gemacht werden können, es sei denn, sie haben „tatsächliches Wissen“, dass der Inhalt illegal ist. Letzteres besagt, dass Plattformen nicht gezwungen werden können, ihrer Systeme pauschal zu überwachen, um illegale Inhalte zu identifizieren.

Der DSA führt weitere Sicherheitsvorkehrungen ein, um Nutzer vor der ungerechtfertigten Entfernung von Inhalten oder vor der Löschung des Kontos bei einer Plattform ohne triftigen Grund zu schützen. Die Anbieter müssen die Nutzer über die Entfernung von Inhalten informieren und den Grund dafür nennen. Große Plattformen müssen ein internes Beschwerdeverfahren anbieten, damit Nutzer die Entscheidung anfechten können. Kleine Unternehmen sind von dieser Verpflichtung ausgenommen. Große Plattformen müssen außerdem Streitbeilegungsmechanismen einrichten, die von einer unabhängigen Stelle überwacht werden.

Der DSA versucht, das Machtgleichgewicht zwischen Plattformen und Gesellschaft durch die Einführung von Transparenzregeln mehr in Richtung letzterer zu verschieben. Derzeit sammeln viele Plattformen viele Daten über ihre Nutzer, während die Nutzer ihrerseits sehr wenig darüber wissen, wie die Plattformen arbeiten. Durch den DSA müssen große Plattformen offener werden, was gezielte Werbung angeht. Die Nutzer müssen darüber informiert werden, welches Unternehmen oder welche Person die Werbung an sie richtet und warum sie dies tut. Große Plattformen müssen auch offener bezüglich ihrer Recomendation Engines (die berüchtigten Algorithmen) werden. Sie müssen den Nutzern die wichtigsten Parameter, die sie für die Empfehlung von Inhalten verwenden, klar erklären. Die Nutzer erhalten auch das Recht, diese Parameter zu ändern oder sich komplett aus dem Recommender-System abzumelden.
 

Der Digital Market Act

Der DMA richtet sich speziell an Gatekeeper und soll gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem digitalen Markt schaffen. Zu diesem Zweck schlägt das DMA vor, dass sehr große Online-Plattformen ihre eigenen Produkte nicht mehr denen der Wettbewerber bevorzugen dürfen (Google beispielsweise listet seine eigenen Dienste ganz oben in den Suchmaschinenergebnissen). Daten von Unternehmen sollen besser geschützt werden: Unternehmen müssen auf die Daten zugreifen dürfen, die sie auf der Plattform des Gatekeepers generiert haben. Sie müssen auch die Möglichkeit haben, ihre Daten aus dem Ökosystem herauszulösen, um sie an anderer Stelle zu hosten. Der Gatekeeper darf diese Daten nicht nutzen, um mit dem Unternehmen zu konkurrieren. Der Gatekeeper darf auch nicht mehr seinen Vermittlerstatus durchsetzen: Wenn Verbraucher und Unternehmen außerhalb der Plattform Kontakt aufnehmen wollen, darf der Gatekeeper dies nicht mehr verhindern.

EU flags at the European Commission Berlaymont building. (Photo by Guillaume Périgois via Unsplash)
EU flags at the European Commission Berlaymont building. (Photo by Guillaume Périgois via Unsplash)

In ihrem Machtkampf mit Big Tech fährt die EU die großen Geschütze auf. Die Strafen für Verstöße gegen das Gesetz können massiv sein. Gatekeeper, die sich nicht an die DSA halten, können mit einer Geldstrafe von bis zu 6 % ihres Jahresumsatzes belegt werden. Bei fortgesetzter Nichteinhaltung können sie gezwungen werden, alle Aktivitäten in den europäischen Netzwerken vorübergehend einzustellen. Die Bußgelder für Verstöße gegen das DMA sind mit 10 % des Jahresumsatzes noch höher. Fortgesetztes unseriöses Verhalten kann eine Zerschlagung des Unternehmens zur Folge haben.
Das Digital Services Act-Paket durchläuft derzeit das Gesetzgebungsverfahren der EU. Die EC, das Europäische Parlament EP und die Mitgliedsstaaten müssen dem endgültigen Text zustimmen, bevor er verabschiedet wird.

Hinweis: Dieser Artikel über Europas Umgang mit Big Tech erschien zuerst in Elektor Juli/August 2021