Alles neu macht der Mai. Im Frühling überfällt die Menschen das Bedürfnis nach Neuem, Klaren, Sauberen. Alles Liegengebliebene muss weg, der Staub fort und Ordnung und Glanz muss in die Bude. Hand aufs Herz, Elektroniker: So ein Elektroniklabor wirkt auf Nichtelektroniker doch ziemlich desorganisiert, oder? Meistens verkommt Ordnung zur Nebensache, wo man doch am Puls der elektronischen Zeit ist und dauernd neue Herausforderungen warten. Wenn man sich mal zurücklehnt und das Chaos vor einem betrachtet, dann ist man zutiefst von der Wahrheit von Komposita wie „kreatives Chaos“ überzeugt – und davon, dass einer peniblen Beamtenseele selten ein großer Geistesblitz entspringt. Wenn man sich als Elektroniker doch kurzfristig zu einem Frühjahrsputz hinreißen lassen kann, dann natürlich nur aus voll rationalen persönlichen Gründen, um etwas zu erreichen. Um zum Beispiel Werkzeuge und Bauteile wieder einfacher zu erreichen. Um mehr Platz für neue Projekte zu haben, um verloren geglaubte Teile vom zuletzt auseinandergenommenen Gerät vor dem Tod durch den Staubsauger zu retten. Oder aber um ein Lächeln auf das Gesicht derer zu zaubern, die mit einem Elektroniker im Haus zusammenleben...

Ich würde zudem alte Bauteile widlarisieren. Jahrelang benutzte ich immer wieder die gleichen Bauteile für schnelle Aufbauten von experimentellen Schaltungen, um etwas schlicht auszuprobieren oder auf Funktion zu testen. Darunter war auch mein Lieblings-TO3-Leistungs-Transistor, der überall zum Zuge kam, wo es um etwas mehr Strom aus einem Netzteil ging. Erst Jahre später an einem verregneten Nachmittag bemerkte ich, dass dieses Exemplar um 70% von der angegebenen Stromverstärkung abwich und einen schrecklichen Leckstrom aufwies. Das erklärte einige ungewöhnliche Ausgänge von kleinen Reparaturvorhaben. Ähnliches war einigen 1-W-Widerständen widerfahren, die deutlich außerhalb der Toleranz lagen. Ich empfehle daher, jedes verdächtige Bauteil mit Krawumm zu entsorgen, um zukünftige Merkwürdigkeiten und Zeitverschwendung bei der Ursachensuche zu vermeiden. Das schont auf die Tastatur der Werkstatt-PCs bei der Suche in technischen Foren nach möglichen Erklärungen für Selbstverschuldetes.



Robert (‘Bob’) Widlar (1937-1991), ein Genie in Sachen analoger ICs und großer Exzentriker dazu, sollte hierfür als Beispiel dienen. Das Widlarisieren von Bauelementen als Teil der als Frühlingsputz getarnten Raserei ist ziemlich einfach. Bob Pease, ein anderer Pionier analoger ICs, beschreibt das Verfahren wie folgt: „Man lege sie [die Schrott-Bauteile] auf den Ambossteil eines Schraubstocks und traktiere sie mit einem Hammer, bis sie in so kleine Teile zerfallen sind, dass man sie vom Boden fegen muss. Man fühlt sich danach einfach besser. Und man weiß dann genau, dass diese Bauteile garantiert keinen Ärger mehr bereiten können. Das ist kein Witz. Wenn man schlechte Bauteile wie ein kratzendes Poti oder einen leckenden Elkos nur beiseitelegt, dann finden sie sich nach Monaten sicher wieder in einer neuen Schaltung und warten nur darauf, einem in den Wahnsinn zu treiben. Doch wenn man das Bauteil rechtzeitig WIDLARISIERT, passiert das niemals nicht. In seinen späten Jahren lernte ich diese Technik von niemand Geringerem als Bob Widlar selbst.”